Stefanie Minkley – Für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität

Frauengesundheit: Das vernachlässigte Geschlecht. Diskussion mit FES & SGK

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21.11.2022 | Frauenpolitik

Ich wurde als Referentin zum Thema Data Gender Gap von der Friedrich-Ebert-Stiftung und der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK) Hessen eingeladen und durfte im Anschluss mit der Landtagsabgeordneten Nadine Gersberg, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, sowie Michelle Breustedt, stellv. Juso-Bezirksvorsitzende und Kreistagsabgeordnete im Lahn-Dill-Kreis über eine frauengerechte Gesundheit diskutieren.

Link zum Bericht der SGK

Hier Ausschnitte aus meinem Vortrag:

Noch ein Gender Gap? Wir kennen den Gender Gap insbesondere bei Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen, der ohne Zweifel immer noch besteht und vielerlei Gründe hat. Wir machen jedes Jahr am Equal Pay Day darauf aufmerksam.

Aber was bedeutet nun Data Gender Gap? Um welche Daten geht es da und welche Konsequenzen hat diese Datenlücke?

Letztendlich ist es in allen Wissenschaftsbereichen so, dass der weiße, gesunde Mann die Norm darstellt und unsere Gesellschaft sich um diese Norm entwickelt hat. Schließlich haben diese Männer Gesetze geschrieben und Forschung vorangetrieben, die diese Ungleichheit manifestiert. Das führt auch zur Verzerrung wissenschaftlicher Studien.

Die Beispiele der Abtreibungsgesetze und Gesetze zur sexuellen Belästigung, die ja erst vor Kurzem reformiert wurden, sind für mich sehr eindrücklich.

It is a man’s world.

Das für uns vielleicht offensichtlichste Beispiel sind Öffentliche Toiletten. Warum gibt es mehr Toiletten für Männer, obwohl Frauen häufiger auf die Toilette gehen müssen?

Aber auch in der Stadtplanung spielt es eine große Rolle: Frauen haben zu 50-60 % Angst alleine an einer Bushaltestelle zu warten oder nach Hause zu gehen – bei Männern ist dies nur zu 20-30 % der Fall. Dies könnte man stadtplanerisch verbessern!

Frauen sind weltweit weitaus häufiger zu Fuss oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Männer hingegen benutzen öfters das Auto. Und obwohl das Unfallrisiko auf Gehwegen höher ist, werden primär Straßen von Schnee befreit.

Es geht weiter bei der Temperatur, die für Büros empfohlen wird – es ist kein Wunder, dass Frauen häufiger kalt ist. Und auch Regale in Supermärkten sind oft zu hoch.

In der öffentlichen Diskussion wurde zuletzt darauf aufmerksam gemacht, dass die Daten, mit denen Künstliche Intelligenzen „gefüttert“ werden und aus denen sie ihre Algorithmen entwickeln dazu führen, dass Menschen benachteiligt werden. Den die Daten, mit denen wir KI füttern, liefen bereits durch den menschlichen Bias-Filter.

Und auch Crash Text Dummies für die Erforschung, wie Autos bei Unfällen sicherer gemacht werden können, haben bisher nur die Körpermaße von Männern (und Kindern) gehabt.

Wenn eine Frau in einem Autounfall verwickelt ist, wird sie im Vergleich zu Männern mit 48 % höherer Wahrscheinlichkeit schwer verletzt und mit 71 % höherer Wahrscheinlichkeit mittelschwer verletzt.

Die NASA-Astronautin  Anne McClain sollte eignetlich beim ersten all-female spacewalk mit Christina Koch teilnehmen. Aber McClain konnte nicht teilnehmen, weil die NASA keine zwei Spacesuits der Größe M hatte, welche beide Frauen brauchten.

Durch die vierte Weltfrauenkonferenz in Peking im Jahre 1995 nahm die globale Gleichstellungspolitik dann eine beachtliche Wende. Erstmals wurde allgemein festgehalten, dass ein grosser Bedarf an geschlechtsspezifischen Statistiken besteht und diese im Zuge der Gleichstellung eine entscheidende Rolle spielen.

Es ist insbesondere dem Buch «Unsichtbare Frauen» von Caroline Criado-Perez zu verdanken, dass es der Gender Data Gap in den gesellschaftlichen Diskurs geschafft hat. Die britische Journalistin und Feministin listet Seite um Seite wissenschaftliche Studien auf, die aufzeigen, wie die Frauen in den Daten vergessen gehen.

Medikamente werden häufig nur in der Follikelphase getestet, wo unser Hormonspiegel am niedrigsten ist.

Sogar Medikamente für Erkrankungen, die bei Frauen häufiger vorkommen, wie Antidepressiva, werden an männlichen Tieren getestet. – Insgesamt übrigens immer noch 70 % der Tierversuche, die nur mit männlichen Tieren durchgeführt werden.

Andersherum geht es auch: Bei Männern äußern sich Depressionen anders und werden unterdiagnostiziert – Gendermedizin bzw. das Verständnis dafür ist also gut für alle.

An COVID erkrankten auch mehr Männer – das hat weitere Forscher aufgeweckt geschlechtersensibel zu forschen. An den Masken wiederrum hat man gesehen, dass auch deren Größe an eine männliche Norm angepasst war. Weltweit sind 70% der Arbeiter_innen im Gesundheits- und Pflegebereich weiblich. Infektionsraten unter weiblichen Gesundheitspersonal sind bis zu 3x höher als beim männlichen Gesundheitspersonal.

Frauen weisen bei einem Herzinfarkt unterschiedliche Symptome zu Männern auf. Bei beiden Geschlechtern handelt es sich bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen um die häufigste Todesursache, jedoch wurden Frauen jahrzehntelang in der Forschung nicht berücksichtigt. Fehldiagnosen und ein höheres Sterberisiko sind die Folgen für Frauen.

Die Zahl der Herzinfarkte bei Frauen sei fast genauso hoch wie bei Männern, und sie würden sogar häufiger an Herzschwäche leiden. Doch manche Formen, an denen vorwiegend Frauen litten, würden kaum erforscht.

Ein drastisches Beispiel habe es bei Gerinnungshemmern gegeben. Darf eine Frau mit Herzinfarkt einen Gerinnungshemmer bekommen, wenn sie ihre Tage hat? Bei Markteinführung dieser neuen und für die Therapie äußerst wichtigen Medikamente wusste man es nicht. Denn sie wurden nur mit männlichen Probanden getestet.

Erst ab Mitte der 1990er Jahren wurden Frauen vermehrt in medizinischen Studien miteinbezogen.

In Studien zu Herz-Kreislauf-Medikamenten machen Frauen nur ein Drittel der Teilnehmenden aus.

In bis zu einem Fünftel aller untersuchten Arbeiten werden die Geschlechterunterschiede gar nicht untersucht oder erwähnt.

Studien zeigten, dass 70 Prozent der Tierversuche auch heute noch an männlichen Ratten vorgenommen würden, 10 Prozent nur an weiblichen Tieren, 10 bis 20 Prozent an Tieren beiderlei Geschlechts und in 10 Prozent der Fälle sei das Geschlecht der Versuchstiere unbekannt.

Ein weiterer Beleg dafür, dass es Frauen in allen Bereichen auch an der Spitze und im mittleren Management geben muss, weil ansonsten nicht nur Perspektiven fehlen, sondern auch vieles, das Frauen betrifft einfach nicht erforscht wird.

Aber das Thema ist im Kommen, es gibt bereits einzelne Lehrstühle für Gendermedizin in Deutschland!

Die fehlende Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Unterschiede bei Datenerhebungen stellt eine subtile Form von Diskriminierung dar und kann für Frauen fatale Folgen haben.

This is a man’s world – but we would be nothing without a women or a girl!

Quellen:

https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/warum-frauen-medizinisch-benachteiligt-sind/ (2021)

https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/frau/gender-data-gap-frauen-daten (2021)

https://www.unwomen.org/en/digital-library/publications/2020/09/gender-equality-in-the-wake-of-covid-19 (2020)